Es kann sein, dass im Rahmen der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung vereinbart ist, dass der betroffene Versicherungsnehmer auf einen anderen Beruf verwiesen werden kann, bevor Versicherungsleistungen in Form einer Rente gezahlt werden. An welche Voraussetzungen die Möglichkeit einer solchen Verweisung in einen anderen Beruf geknüpft ist, wird in den vereinbarten Versicherungsbedingungen geregelt.
Hin und wieder kommt es jedoch zu Streitigkeiten zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer in Bezug auf die dort gewählten Formulierungen und was sie bedeuten.
Das gilt insbesondere dann, wenn die Versicherungsbedingungen u. a. auch die Verweisung auf einen Beruf mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen/Fähigkeiten vorsehen. Nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Karlsruhe genügt es für eine Verweisung auf „eine andere Tätigkeit, die ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten voraussetzt“ dem Wortlaut nach nicht, dass die bisherige Ausbildung den Versicherten auch zur Ausübung der neuen Tätigkeit befähigt. Die für den Verweisungsberuf vorausgesetzte Ausbildung muss vielmehr mit der für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit erforderlichen Ausbildung ähnlich sein (OLG Karlsruhe, Urt. vom 17.05.2011 – 12 U 445/11).
Nachprüfungsverfahren in der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung
Ob die neue Tätigkeit nach Verlust der alten beruflichen Tätigkeit wegen Berufsunfähigkeit mit der alten Tätigkeit vergleichbar ist, ist im Einzelfall zu entscheiden. So ist die neue Tätigkeit als Firmenkundenberater einer Großbank nicht gleichzusetzen mit der vor dem Eintritt der Berufsunfähigkeit ausgeübten Tätigkeit als kaufmännischer Leiter eines Unternehmens von nicht unerheblicher Größe. Die Tätigkeit des Firmenkundenberaters einer Großbank erfährt nämlich nicht die gleiche soziale Wertschätzung wie die frühere als leitender Angestellter, in der der Versicherte nur dem Geschäftsführer unterstellt war und die umfassende betriebswirtschaftliche Kenntnisse sowie strategische Impulse für die Ausrichtung des Unternehmens erforderte. Dies gilt auch, wenn der Versicherte in der neuen Tätigkeit genauso viel oder nur geringfügig weniger verdient. Denn die BU-Versicherung ist keine Versicherung für Einkommenseinbußen des Versicherten, sondern aus der BU – Versicherung wird eine im Voraus vertraglich vereinbarte Leistung erbracht. Der Versicherer muss also auch dann leisten, wenn der Versicherte durch den Eintritt der BU keine oder nur eine geringe Einkommenseinbuße erleidet (Landgericht Mannheim, Urt. vom 11.10.2012- 10 O 45/11).
Wie berechnet sich die Berufsunfähigkeit in der BUZ ?
Die Feststellung des Grades der Berufsunfähigkeit ist nicht lediglich eine Rechenoperation nach der Regel: übliche Arbeitzeit 40 h = 100 %, noch mögliche Arbeitszeit 15 h = 37,5 %, also 62,5 %. Sie erfordert vielmehr eine wertende Betrachtung der gesamten mit der Berufsausübung verbundenen Tätigkeiten. Maßgeblich ist die Wertung, ob er seine Arbeit mit den sie prägenden Merkmalen noch in dem erforderlichen Ausmaß (in der Regel mehr als 50 %) wahrnehmen kann. Sind die Verrichtungen, die den Kernbereich der Tätigkeit ausmachen, nicht mehr möglich, verbleiben nicht ins Gewicht fallende, regelmäßig eher Verlegungsbeschäftigungen ausmachende Arbeitsleistungen. Weiterhin ist zu berücksichtigen, ob dem Versicherten in der von ihm noch zu leistenden Arbeitszeit die Erzielung eines sinnvollen Arbeitsergebnisses möglich ist. Wenn zwar über einen Arbeitstag verteilt insgesamt noch mehrere Stunden Arbeit möglich sind, diese aber nicht an einem Stück geleistet werden kann, sondern über den Tag verteilt kurze Arbeitsphasen nur im Wechsel mit längeren Pausen möglich sind, ist auch diese gesundheitsbedingte Erschwernis bei der Bewertung des Maßes der Berufsunfähigkeit mit zu berücksichtigen. – So das OLG Koblenz, Urt. v. 27.03.2009 – 10 U 1367/07: Ist ein Anwenderprogrammierer wegen intensiver Schmerzstörung, die seine Konzentrationsfähigkeit erheblich einschränkt, nur noch in der Lage, ungefähr bis zu 3 h an einem 8 h – Tag zu arbeiten, und zwar in Form von kurzen Arbeitsphasen im Wechsel mit längeren Pausen über den Tag, so liegt eine Berufsunfähigkeit von mehr als 75 % vor.
Berufliche Tätigkeit vor dem Eintritt der Berufsunfähigkeit
Bei der Beurteilung der Frage der Berufsunfähigkeit, kommt es hinsichtlich des Einkommens und Ansehens auf die vor dem Eintritt der Berufsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit an. Dabei ist nicht allein auf die Tätigkeit abzustellen, die der Versicherte unmittelbar vor der von ihm behaupteten Berufsunfähigkeit ausgeübt hat, wenn er zuvor in kürzeren Zeitspannen verschiedene berufliche Tätigkeiten wahrgenommen hatte und zwischendurch arbeitslos war. In einem solchen Fall hat in der Regel nicht das letzte Arbeitsverhältnis seine bisherige Lebensstellung im Sinne der Versicherungsbedingungen geprägt. Aufgrund einer in zeitlicher Hinsicht umfassenderen Betrachtung ist deshalb die bisherige Lebensstellung über einen längeren Zeitraum zu beurteilen (OLG Oldenburg, Beschluss vom 05.02.2010 – 5 U 4/10).
Berufsunfähigkeit bei mehreren Berufen?
In der heutigen Zeit arbeiten viele Menschen in mehreren Berufen. Problematisch kann dies u. a. auch dann werden, wenn man eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung unterhält und diese nunmehr wegen Berufsunfähigkeit in Anspruch nehmen möchte. Übt der Versicherungsnehmer (VN) mehrere Berufe aus, so hatte zur Darlegung seiner Berufsunfähigkeit die konkrete Ausgestaltung dieser Berufe nachvollziehbar dem Versicherer (VR) darzustellen und dazutun, dass ihn seine gesundheitliche Beeinträchtigung keine Betätigungsmöglichkeiten in diesen Berufen lässt, die eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausschließen würden. Ob der VN mehrere Berufe tatsächlich ausübt, ist danach zu beurteilen, was er bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit tatsächlich beruflich getan hat. Hatte er aus einer handwerklichen Unternehmertätigkeit annähernd gleich hohe Einnahmen, wie aus seiner gewerblichen Vermögensverwaltung (z. B. Vermietung / Verpachtung) erzielt, die nicht ohne Auswirkungen auf das konkrete Gepräge seines konkreten Berufs sein können, so spricht das für die Ausübung mehrere Berufe (OLG Dresden Urt. vom 29.05.2013 – 7 U 1220/12)
Unzumutbare Einkommensminderung bei Verweisung in der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung (BUZ) ?
In vielen abgeschlossenen Verträgen zur BUZ findet sich eine Verweisungsklausel, nach der der Versicherer (VR) den berufsunfähigen Versicherten vor Zahlung einer Rente auf einen anderen Beruf verweisen kann. Eine der vielen Fragen in diesem Zusammenhang ist die nach der Zumutbarkeit der oft mit der neuen Tätigkeit verbundenen Einkommensminderung. Die Beurteilung der Frage, ab wann eine solche die bisherige Lebensstellung des Versicherten nicht mehr wahrt und dieser also nicht auf die neue Tätigkeit verwiesen werden kann, unterliegt einer Einzelfallbetrachtung, da sich die prozentuale Einkommensminderung je nach Höhe des Einkommens vor Eintritt des Versicherungsfalls unterschiedlich auswirken kann. Das OLG München sieht eine Einkommensminderung von 21,53 % bei einem bisherigen Nettoverdienst von Euro 2.548,86 als Offsetdrucker gegenüber einem Kalkulator (Verweisungsberuf) als nicht hinnehmbar an (OLG München Urt. vom 22.10.2010 – 25 U 5827/07). Neben der durchschnittlichen Höhe des bisher erzielten Einkommens ist zusätzlich von Belang, ob dieses Einkommen nicht aus dem Rahmen fällt, also für die bisher ausgeübte Tätigkeit auch ortsüblich und angemessen war. Wer überdurchschnittlich gut in seinem Beruf vor dem Versicherungsfall verdiente, muss durchaus mehr Abstriche (mitunter bis zu 30 %) beim Einkommen für die Verweisungstätigkeit hinnehmen.