Krankheiten und Gebrechen, die altersbedingt auf normale Verschleißzustände des Körpers zurückgehen, führen nicht dazu, dass der Unfallversicherer seine Leistungen im Versicherungsfall kürzen darf. Eine Leistungskürzung nach den Bedingungen der Unfallversicherung setzt nämlich immer eine Abweichung vom altersbedingten normalen Zustand voraus.
Beispiele:
- Die bei einer 50 – jährigen Krankenschwester bestehenden Abnutzungen an der Rotatorenmanschette, die nach der Feststellung des med. Sachverständigen regelmäßig bei über 50 jährigen vorkommen, führen nicht zur Einschränkung des Versicherungsschutzes (OLG Saarbrücken, Urteil v. 22.12.2010 – 5 U 638/09 – 127).
- Bei einer 76 – jährigen Frau mit deutlich über das altersentsprechende Maß hinausgehenden degenerativen Vorschäden an der Rotatorenmanschette mit der Folge, dass diese Vorschädigungen letztlich allein den Dauerschaden ausgelöst haben, besteht keine Entschädigungspflicht des Unfallversicherers (OLG Köln, Urteil vom 12.10.2012- 20 U 15/11).
- Die bei einer jungen Versicherten vorliegende, deutlich über das Alter hinausgehende Einengung des Rückenmarkkanals ist nach medizinischer Beurteilung als ungewöhnlich anzusehen und stellt ein Gebrechen dar, das zur Minderung der Versicherungsleistung bis 50 % berechtigt (LG Itzehoe, Urteil vom 04.06.2012- 1 S 59/12).
- Allerdings setzt die Minderung der Versicherungsleistung auch immer voraus, dass die ungewöhnliche, dem Alter nicht entsprechende Vorschädigung mitursächlich für den beim Unfallversicherer gemeldeten Unfallschaden geworden ist.
Private Unfallversicherung: Unfalltod durch Ertrinken
Mit Beschluss vom 18.01.2012 hat der BGH noch einmal dargelegt, dass der Tod durch Ertrinken immer ein Unfalltod im Sinne der Versicherungsbedingungen in der privaten Unfallversicherung (AUB) ist.
Nach diesen Versicherungsbedingungen liegt ein Unfall vor, wenn der Versicherte durch ein plötzlich von außen auf seinen Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Nicht darunter fallen Unfälle durch Geistes- und Bewusstseinsstörungen. Es besteht jedoch Versicherungsschutz, wenn diese Störungen erst durch ein Unfallereignis verursacht wurden.
Im Falle des Ertrinkens hat der Hinterbliebene nur den Unfall durch Ertrinken darzulegen und zu beweisen. Er braucht nicht die Ursachen und den Verlauf des Unfalls zu beweisen. Es reicht aus, den Geschehensablauf zu schildern. Dabei kommt es nur auf dasjenige Ereignis an, das den Schaden unmittelbar ausgelöst hat, nicht auf dessen einzelne Ursachen. Der Tod durch Ertrinken ist daher immer ein Unfalltod im Sinne der AUB.
Die Leistungspflicht des Versicherers ist nur dann ausgeschlossen, wenn es zu dem Ertrinken durch eine Geistes- und Bewusstseinsstörung gekommen ist. Das Vorliegen eines solchen sog. Ausschlusstatbestandes hat jedoch der Versicherer darzulegen und zu beweisen (BGH, Beschluss vom 18.01.2012 – IV ZR 116/11).
Versicherungsfall: Verletzungen bei Wettfahrten
In der Unfallversicherung sind in der Regel Verletzungen durch Wettfahrten mit Kraftfahrzeugen ausgeschlossen. Allerdings liegt eine solche „Fahrtveranstaltung“ nach den AUB 94 dann nicht vor, wenn diese auf einer öffentlichen Straße ausgetragen wird, die Teilnehmer die Verkehrsvorschriften zu beachten haben und die Veranstaltung lediglich auf Erzielung einer höheren Durchschnittsgeschwindigkeit ausgerichtet ist. Fährt der Versicherungsnehmer innerorts mit seinem Motorrad mit 80 bis 100 Stundenkilometer, so hatte er dessen Höchstgeschwindigkeit bei Weitem noch nicht erreicht. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Versicherer nachweisen kann, dass der Versicherungsnehmer die Höchstgeschwindigkeit seines Motorfahrzeugs erreichen wollte. Die regelmäßig im Straßenverkehr stattfindenden Versuche, an anderen Verkehrsteilnehmern vorbeizufahren, diese zu überholen bzw. die Versuche der anderen Verkehrsteilnehmer, dies’ zu verhindern, sind selbst dann keine „Fahrtveranstaltung“ im Sinne der Unfallversicherung, wenn dies’ unter Missachtung von Verkehrsvorschriften geschieht, sondern allenfalls ein privates Kräftemessen oder ein bloßes Ausleben von Egoismen (OLG Bamberg, Beschluss vom 23.02.2010 – 1 U 161/09).
Beispiele zur Bewertung des Invaliditätsgrades nach der Gliedertaxe
BGH: Die in der Gliedertaxe enthaltene Wendung „Funktionsunfähigkeit eines Arms im Schultergelenk“ ist unklar, mit der Folge, dass die für den Versicherten günstigste Auslegung maßgebend ist. Beim Kläger, den beim Baumfällen ein Baum auf der linken Körperseite getroffen hatte, war der Schultergürtelbereich praktisch funktionsunfähig, da er Schulter und Oberarm nicht bewegen und gebrauchen konnte. Allerdings konnten Unterarm und Hand mit Einschränkung wesentlicher Funktionen noch eingesetzt werden. Maßgebend ist der Sitz der unfallbedingten Schädigung, sodass es darauf ankommt, was unter Funktionsunfähigkeit eines Arms im Schultergelenk zu verstehen ist: Funktionsunfähigkeit allein „im“ Gelenk oder „bis zum“ Gelenk?
OLG Frankfurt/Main: Entsteht infolge komplikationsreichen Heilungsverlaufs einer unfallbedingten Mittelfußfraktur eine Dysregulierung der die Nerven umgebenden Gefäße, die zur Nervenatrophie und in der Folge davon zu Kausalgien führt, ist bei der Bemessung des Invaliditätsgrades nach Gliedertaxe nicht auf den Sitz der eingetretenen Verletzung, sondern auf den der Auswirkung der Verletzung abzustellen.
Brandenburgisches OLG: Ist der linke Arm als Organ nicht mehr einsatzfähig, liegt eine 100 %-ige Funktionsunfähigkeit auch dann vor, wenn der Arm für den Oberkörper noch eine Gleichgewichtsfunktion besitzt. Die Beeinträchtigung eines rumpfnäheren Gliedes (Ellenbogen) schließt den Verlust oder die Beeinträchtigung eine rumpfferneren Gliedes (Hand) ein, wenn die Beeinträchtigung im Wesentlichen im Ellbogen mit einer einhergehenden Ausstrahlungswirkung bis zur Hand eingetreten ist. Eine Addition der Werte aus der Gliedertaxe findet nicht statt.
OLG Köln: Bei einer dauerhaften Beeinträchtigung paariger Körperteile oder Sinnesorgane ist die Funktionsbeeinträchtigung und der daraus folgende Grad der Invalidität für jedes Körperteil oder Sinnesorgan gesondert festzustellen. Der Umstand, dass durch einen Unfall beide paarigen Körperteile oder Sinnesorgane gleichzeitig dauerhaft geschädigt worden sind bzw. bereits vor dem Unfall beeinträchtigt waren, führt nicht zu einer Erhöhung des Invaliditätsgrades.
OLG Karlsruhe: Von der Gliedertaxe umfasst und mit ihr abgegolten sind die über das Glied hinaus ausstrahlenden Folgen des Verlustes oder der Funktionsbeeinträchtigung eines Gliedes, nicht jedoch ein weiterer Gesundheitsschaden im Bereich des übrigen Körpers, der durch solche Auswirkungen hervorgerufen wurde und ebenfalls dauerhafte Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit des Versicherten nach sich zieht (z.B. Beckenschiefstand und Wirbelsäulenverkrümmung infolge Beinverkürzung). Ein solcher weiterer Gesundheitsschaden muss ebenfalls innerhalb des Dreijahreszeitraums eingetreten oder als Dauerfolge erkennbar gewesen sein.
OLG Hamm: Ist eine verbesserte Gliedertaxe für Verlust oder Funktionsunfähigkeit beider Arme oder Hände, beider Beine oder Füße , je eines Arms oder einer Hand und eines Beines oder eines Fußes vereinbart, so ist diese beim Verlust nur eines Beines nicht anwendbar.