Verschweigen von Vorversicherungen
Das Verschweigen von Vorversicherungen, der Kündigung durch den Vorversicherer, von weiteren Versicherungen, Vorschäden oder abgelehnten Anträgen kann zwar den Rücktritt des Versicherers wegen Anzeigepflichtverletzung begründen. Die Leistungspflicht des Versicherers bleibt jedoch bestehen, weil diese Umstände keinen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalls bzw. den Umfang der Leistung des Versicherers haben (vgl OLG Hamm r + s 90, 147, 168; OLG Hamm r + s 89, 1; BGH r + s 91, 423, 424; OLG Köln VersR 92, 231, 232;).
Verschweigen = Arglist ?
Der Versicherer darf im Falle vorvertraglicher Anzeigpflicht nicht automatisch davon ausgehen, dass das Verschweigen mit Arglist verbunden war. Denn es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass die bewusst unrichtige Beantwortung einer vom Versicherer gestellten Frage immer und nur in der Absicht erfolgt, auf den Willen des Versicherers einzuwirken (BGH Beschl. v. 04.05.2009 – IV ZR 62/07).
Zur vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung in der privaten Krankenversicherung und anderen Versicherungen
Die im Antrag auf Abschluss einer Kranken- oder Berufsunfähigkeitszusatzversicherung gestellten Fragen zur Gesundheit stehen immer wieder im Mittelpunkt gerichtlicher Entscheidungen. Denn im Leistungsfall prüft der VR auch, ob ihm der VN seinerzeit bei Antragstellung die Fragen nach seinem Gesundheitszustand richtig beantwortet hat. Oft hat der VN notwendige Angaben vergessen oder hielt diese nicht für so wichtig. Ob deshalb der VR berechtigt ist, vom Versicherungsvertrag zurückzutreten oder diesen wegen Arglist anzufechten, entscheidet sich u. a. auch daran, ob der VR den VN bei Antragstellung ausreichend und richtig und an der richtigen Stelle belehrt hatte. Der VR muss den VN vor den Antragfragen zur Gesundheit deutlich und mit Fettdruck darauf hinweisen, dass er die Angaben wahrheitsgemäß und vollständig beantworten muss. Darüber hinaus muss er gesondert auf die Folgen der Anzeigepflichtverletzung deutlich hinweisen. Dem Erfordernis einer gesonderten Mitteilung in Textform im Sinne des Gesetzes genügt es zwar, wenn der VR die Belehrung des VN in das Antragsformular aufnimmt, in welchem dem VN Antragsfragen zu seiner Gesundheit gestellt werden. Die Platzierung und drucktechnische Gestaltung vom übrigen Text muss sich aber derart abheben, dass sie für den VN nicht zu übersehen ist. Der VN hat in einem für ihn unbekannten und im Regelfall das erste Mal zu Gesicht bekommenden Krankenversicherungs- oder sonstigen Versicherungsantrag „kein Suchspiel“ zu bewältigen, bevor er wichtige Hinweise auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung gefunden oder als solche enttarnt hat (Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil vom 13.3.2017- 7 U 216/13). Daraus folgt, dass man den Rücktritt und die Anfechtung des Versicherungsvertrags sowie die Ablehnung der Versicherungsleistung durch den VR nicht in jedem Falle hinnehmen muss. Jeder Versicherungsantrag ist ein individueller Antrag und die Versicherer haben auch nicht die gleichen Antragsunterlagen. Es sollte also immer sehr genau geprüft werden, ob der Versicherer überhaupt genügend und ausreichend und an der richtigen Stelle belehrt hat. Hat er das nicht, bestehen durchaus Chancen, die Versicherungsleistung doch noch zu erhalten, und wenn, dann eventuell auch auf gerichtlichem Wege.
Vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung in Gegenwart des Versicherungsvertreters?
Hat der Versicherungsnehmer einen gefahrerheblichen Umstand nicht angezeigt, liegt schon objektiv eine Verletzung der vorvertragliche Anzeigeobliegenheit nicht vor, wenn die entsprechende Frage im Antragsformular dem Versicherungsnehmer durch das Verhalten des für den Versicherer tätigen Agenten nicht zur Kenntnis gelangt und deshalb unbeantwortet geblieben ist. Auf ein Verschulden des Versicherungsnehmers kommt es insoweit schon nicht mehr an (BGH, VersR 96, 1529).
Hat ein Agent den Antrag eigenmächtig und ohne Rückfragen beim Versicherungsnehmer ausgefüllt und den Versicherungsnehmer nur zur Unterschrift, nicht auch zur Durchsicht vorgelegt, sind die Antragsfragen dem Versicherungsnehmer nicht zur Kenntnis gelangt und scheidet eine Anzeigepflichtverletzung aus (BGH, VersR 91, 575)
Legt der Agent das von ihm ausgefüllte Antragsformular dem Versicherer nur zur Unterschrift, nicht aber auch mit der Bitte vorheriger Durchsicht und Überprüfung der Eintragungen vor, sind vom Agenten nicht vorgelesene Antragsfragen nicht zur Kenntnis des Versicherungsnehmers gelangt und scheidet eine Anzeigepflichtverletzung insoweit aus (BGH, r + s 94, 444)
Eine Anzeigepflichtverletzung liegt nicht vor, wenn der Versicherungsnehmer den vom Versicherungsagenten bereits ausgefüllten Antrag, ohne dass die Antragsfragen vorher mit ihm erörtert worden sind, ungeprüft unterschreibt. Den Versicherungsnehmer trifft keine gesonderte Prüfungspflicht (OLG Hamm, r + s 99, 10).
Der Versicherer muss (neben den falschen Angaben) beweisen, dass der Agent die Antragsfragen mit dem Versicherungsnehmer so durchgegangen ist, dass dies bei einer sorgsamen, nicht unter Zeitdruck stehenden und gegebenenfalls durch klärende Rückfragen ergänzten Lektüre des fragenden Antragstellers gleichzusetzen ist (BGH, VersR 90, 1002).
Die erforderliche Kenntnis des Versicherungsnehmers von den Antragsfragen setzt voraus, dass der Versicherungsnehmer sie entweder selbst gelesen hat oder darüber in ausreichender Form aufgeklärt worden ist (OLG Hamm r + s 90, 146 – zitiert und gebilligt vom BGH, VersR 91, 575).
Dürfen Versicherer nach festen Quoten regulieren?
Führte ein Versicherungsnehmer früher einen Schaden grob fahrlässig oder vorsätzlich herbei, lief er Gefahr, wegen dieses Schadens von seinem Versicherer keinen Cent zu bekommen. Große Probleme bereiten hier nun die Verträge, die vor dem 01.01.2008 abgeschlossen worden sind. Einige Versicherer haben mit der Geltung des neuen VVG die Altverträge nicht umgestellt, mit der Folge, dass eigentlich zwischen Versicherern und Versicherten nach wie vor das sog. „Alles oder nichts Prinzip“ vereinbart ist. Hier wird der Versicherungsnehmer jedoch durch die Rechtsprechung geschützt. Weitestgehend gehen die Gerichte davon aus, dass dieses Prinzip keine Gültigkeit mehr hat, unabhängig davon, ob der Altvertrag umgestellt wurde oder nicht (OLG Köln, LG Köln, LG Nürnberg-Fürth).
Im Einzelfall ist nun genau festzustellen, wie hoch der Verschuldensanteil des Versicherungsnehmers an der Herbeiführung des Schadens ist. In der Praxis gestaltet sich das schwierig. Es kristallisiert sich nach und nach ein Quotenmodell heraus, wonach die Quotenstufen 0, 25, 50, 75 und 100% berücksichtigt werden. Diese Quoten sind aber kein Gesetz! Sie sind deshalb auch nicht unumstritten. Denn die konkrete Einzelfallbetrachtung ist in Gefahr. Wesentlich ungleiche Fälle könnten gleichbehandelt werden, was nicht im Sinne der Rechtssicherheit ist (OLG Hamm, Urt. vom 25.08.2010 20 U 74/10).
Aber Vorsicht ! Was nicht vorsätzlich geschieht, ist nicht automatisch grob fahrlässig. Bevor der Versicherer Geld einspart, sollte geprüft werden, ob er das darf. So ist das Nichtbeachten einer roten Ampel mit anschließendem Unfall nicht stets als grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls anzusehen (BGH Urt. vom 29.01.2003 – IV ZR 173 /01) Mit anderen Worten: Es könnte auch nur einfach fahrlässig oder ein Unglück gewesen sein. Dann muss der Versicherer zahlen.
Was ist Unterversicherung?
Unterversicherung liegt vor, wenn die Versicherungssumme niedriger als der Wert des zu versichernden Gegenstandes ist. Beim Totalschaden entspricht die Versicherungssumme der Entschädigung. Lag der tatsächliche Wert des zerstörten Gegenstandes bei Euro 50.000 und war er nur mit Euro 30.000 versichert, dann gibt es auch nur Euro 30.000. Entsteht an diesem Gegenstand lediglich ein Teilschaden von Euro 20.000, 00, haftet der Versicherer nur nach dem Verhältnis der Versicherungssumme zum Wert. Und das geht so:
Teilschaden 20.000 x Versicherungssumme 30.000
Wert 50.000
Der Geschädigte erhält also nur Euro 12.000.
Manchmal steht allerdings im Versicherungsvertrag drin, dass der Versicherer auf den „Einwand der Unterversicherung verzichtet“. Das hieße dann, dass der volle Schaden, unabhängig von der richtigen Wertermittlung, auszugleichen wäre.
Wer legt aber nun den Wert fest und wer trägt das Risiko der richtigen Bewertung ?
Grundsätzlich ist die Wertermittlung Sache des Versicherungsnehmers. Aber auch der Versicherer ist verpflichtet, bei der Wertermittlung unterstützend tätig zu sein und auf das Risiko der Unterversicherung hinzuweisen. Zum Beispiel dann, wenn der Versicherungsnehmer anzeigt, Beratungs- und Aufklärungsbedarf zu haben, im Weiteren, wenn der Versicherer erkennt, dass eine falsche Wertermittlung vorliegt oder er selbst die Wertermittlung durch einen Spezialisten vorgenommen hat. Außerdem gibt es Beratungspflichten, wenn der Versicherer erkennen musste, dass es Schwierigkeiten bei der Wertermittlung gibt oder die besonderen Berechnungsformeln den Versicherungsnehmer überfordern. Man denke bei der Wohngebäudeversicherung an die sog. „gleitende Neuwertversicherung“, die auf den Versicherungswert 1914 aufbaut.
Was kann man bei Unterversicherung im Schadenfall tun?
Verletzt der Versicherer die Aufklärungs- und Beratungspflicht, so macht er sich schadensersatzpflichtig. Dann kann der Versicherungsnehmer verlangen, so gestellt zu werden, als wenn der Versicherer seiner Beratungs- und Aufklärungspflicht vollständig nachgekommen und so die Unterversicherung nicht eingetreten wäre. Dann hat der Versicherungsnehmer Anspruch, in Höhe des vollen Schadens entschädigt zu werden. Es ist aber nicht zu empfehlen, ohne anwaltliche Unterstützung gegen den Versicherer vorzugehen. In der Regel wird das Anwaltshonorar von einer bestehenden Rechtsschutzversicherung übernommen. Bei erfolgreicher Durchsetzung der Schadensersatzansprüche trägt der Sachversicherer die Anwaltskosten.
Doppelversicherung – doppeltes Geld ?
Nehmen wir an, jemand hat ein Haus mit einem Neuwert von 700.000 Euro. Er hat es bei dem A- Versicherer für 600.000 Euro versichert und bei dem B-Versicherer für 400.000. Das Haus brennt ab. Bekommt er dann 1 Mio. Euro (600.000 + 400.000)?
Leider nein. Der A – und der B – Versicherer haften nur gesamtschuldnerisch auf die tatsächliche Schadenssumme von 700.000 Euro. Untereinander regeln beide Versicherer den jeweils zu tragenden Anteil.
Warum ist das so?
Weil sich niemand an seinem Schaden bereichern soll.
Sollte man die Doppelversicherung nicht verheimlichen?
Bloß nicht! Das kann zur Nichtigkeit beider Versicherungsverträge führen. Der Versicherungsnehmer erhält am Ende gar nichts. Wer sich doppelt versichert hat, ist verpflichtet, den Versicherern dies anzuzeigen.
Wenn der B – Versicherer von der Leistung frei ist, muss dann auch ein Ausgleich stattfinden, so dass der Geschädigte nicht einmal die volle Versicherungssumme aus der A- Versicherung ( 600.000,-), sondern nur einen Anteil hiervon erhält ?
Eigentlich nein. Aber es gibt auch Fälle, in denen der Ausgleich angenommen wird.
Kommt man aus dem Dilemma heraus?
Ja und nein. Wenn man von der doppelten Absicherung nichts wusste, kann man verlangen, dass der später geschlossene Vertrag aufgehoben oder dessen Versicherungssumme auf den Teilbetrag der ersten Versicherung herabgesetzt wird. Das Gleiche gilt, wenn der Wert des versicherten Gegenstandes später sinkt. Auch dann kann angepasst werden. Aber der Versicherungsnehmer muß unverzüglich nach Kenntniserlangung von der Doppelversicherung handeln.
Sollte man in jedem Falle an eine Auflösung oder Herabsetzung durchführen, sofern die Summe der Versicherungen den Wert des versicherten Gegenstandes übersteigt?
Nein, denn oft sind die abgesicherten Risiken nicht deckungsgleich, so dass es von Vorteil sein kann, beide Versicherungsverträge so nebeneinander stehen zu lassen, auch wenn es etwas teurer ist.
Gilt Vorstehendes für alle Versicherungen?
Die angesprochenen Probleme bestehen vorwiegend bei den Schadens- und Krankenversicherungen. Aber zum Beispiel nicht bei Unfallversicherungen.